SCHLUSS MIT DER HEUCHELEI
BOMBEN, FRIEDLICHE STILLE UND POESIE

Bomben, friedliche Stille und Poesie

Ich weiß nicht, wie schrecklich er wäre,
Der TodDurchDieBombe
Ich kann es nur erahnen.
 
Hunderte und Aberhunderte,
Der Absturz der Menschheit,
Verbogene High Heels,
Verrutschte Hüte,
Junge Männer, die ihren Kamm vergessen,
Damen, die nicht wissen, was sie
Mit ihrer Einkaufstasche machen sollen
 
Verse aus dem Gedicht Bomb von Gregory Corso

Das waren einige Verse aus Bomb, dem berühmten Gedicht von Gregory Corso, das im Original in der futuristischen Form eines Atompilzes gesetzt wurde und sich rasch zu einem der Manifeste der Beat Generation entwickelte. Corso, dessen Name seine italienischen Wurzeln verrät, liegt auf dem protestantischen Friedhof von Rom begraben, gleich neben Shelley. Sollte Ihnen der Sinn nach einem Ort stehen, wo Sie mitten im römischen Hauptstadtchaos einen idyllischen Spaziergang in friedlicher Atmosphäre unternehmen können, dann ist dieser wunderbare Friedhofsgarten gleich neben der Pyramide genau der richtige Ort dafür.

 

In Frieden spazieren. Was heißt denn das heute überhaupt, Frieden? Und wo herrscht er? Afghanistan und Libyen, Myanmar, Palästina und Nigeria - ganze 59 Kriege werden aktuell in der Welt ausgetragen, und die russische Invasion in der Ukraine ist nur der letzte einer langen Reihe dramatischer, grausamer, wilder und höchst zerstörerischer Konflikte. Die ganze Menschheit riskiert ihre Existenz und mit ihr unser Planet. Doch es sieht nicht so aus, als würde uns das besonders beeindrucken. Doch zurück zu Beat-Kultur und Underground: Bob Dylan sang zu Beginn der Sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, „the times they are a-changin‘“. Heute können wir noch viel sicherer als damals sein, dass sie sich – und das begleitet von absoluter Gleichgültigkeit – zum Schlechten hin verändern. In den 1960er-Jahren gehörten pazifistische Bewegungen und Demonstrationen gegen die atomare Bedrohung und gegen den Vietnamkrieg fest zum Alltag: Menschenmengen bei Demonstrationen, Musik, Happenings, Reden, Gedichte und Proteste verbreiteten sich in der ganzen westlichen Welt. Und veränderten zum Teil ihr Gesicht. Heute sitzen wir wie betäubt in unserer digitalen Blase, verfolgen zu Millionen das Begräbnis der Queen, doch zugeballert, wie wir sind von der Dauerattacke der Medien auf sämtlichen Kanälen, sind wir kaum noch zu Reaktionen fähig. Ob Putin jetzt den roten Knopf drückt oder ob eine versehentlich abgeschossene Rakete in der Nähe des Atomkraftwerks von Saporischschja einschlägt, es interessiert uns kaum. Aber war nicht „Chernobyl“ eine der TV-Serien, die uns besonders begeistert haben? Wir sind gut im Heucheln und auch darin, gegebenenfalls einfach wegzusehen. Doch wie lässt sich dieses Schweigen erklären? Vielleicht nur so: Die Welt ist gerade derart angsteinflößend mit ihren schmelzenden Eisbergen und unbezahlbaren Gasrechnungen, dass man einfach nicht mehr hinschauen mag. Weil es unerträglich deprimierend ist. Mittlerweile haben wir uns derart an all die schlechten Nachrichten gewöhnt, dass wir selbst angesichts einer womöglich bevorstehenden Nuklearkatastrophe in unserer Starre verharren. Ach ja, die Fußball-WM beginnt auch schon bald, und auch hier finden wir es jetzt nicht so schlimm, dass wir sie an die Scheichs von Katar verkloppt haben. Mit Geld kann man nun mal alles kaufen – und alles zum Schweigen bringen. Die Zahl der sklavenähnlich gehaltenen Bauarbeiter, die für dieses Sport-Spielzeug mit dem Leben bezahlt haben, ist unerträglich. Aber Schwamm drüber! Ist es nicht schön, dass die WM jetzt mal im Herbst stattfindet? Und ist es nicht noch schöner, wie wir alles Hässliche schnell vergessen und so tun, als ob alles ganz prima läuft?

Nein, es ist nicht schön. Wir sollte schleunigst zu dem zurückkehren, was wir früher waren. Zu unserem Dichterfreund Gregory mit seiner Vorstellung vom Paradies, die wir hier gerne mit Ihnen teilen möchten: „Die Hölle kann ein guter Ort sein, wenn sie mit ihrer Existenz beweist, dass auch ihr Gegenteil existiert: das Paradies. Und was ist dieses Paradies? Die Poesie.“

Poeten aller Länder, vereinigt euch!