DAS VILLNÖSSER BRILLENSCHAF

Ich habe glückliche Schafe gesehen

Zu Besuch in Villnöss bei Gunter und seinen Schafen mit den Brillengesichtern.

Nur wenige Menschen wissen, dass im Dolomitental Villnöss (das an Alta Badia grenzt) das Villnösser Brillenschaf – eine Schafsrasse, die aussieht, als würde sie eine dunkle Brille tragen – vor der Grausamkeit der Nazis gerettet wurde. Denn das Brillenschaf war klein und mager und passte daher nicht zu den Vorstellungen des größenwahnsinnigen Nazi-Regimes und seines „Führers“. Die Hakenkreuz-Träger hatten beschlossen, auch die Schafszucht gleichzuschalten und nurmehr einen einzigen Standard zu erlauben. Doch die Villnösser Bauern wollten nichts davon wissen, ihr geliebtes Brillenschaf zu verlieren. Sie versteckten daher einzelne Exemplare auf einsamen Berghütten, sodass diese dem Vernichtungswahn der Nazis entgingen. Bis heute wird der Fortbestand dieser besonderen Schafsrasse mit ihrem Brillen-Gesicht von verschiedenen Züchterverbänden gesichert, die damit Großes bewirken. Denn durch ihre Arbeit sorgen sie dafür, dass die Bauern in den Tälern bleiben können, wo sich durch die Schafszucht nun interessante neue Erwerbsmöglichkeiten ergeben. Ich wette, Sie wussten nicht, was mit der Wolle dieser kleinen, eleganten Schafsrasse geschieht? Sie wird zum Beispiel zu den superedlen Pullovern von Brunello Cucinelli verarbeitet. Oder findet ihren Weg in die anspruchsvollsten Salewa-Produkte.

Zweimal im Jahr schaue ich in Villnöss vorbei und besuche einen ganz bestimmten Bauern: Gunter, den Bienenkönig und Schafszüchter. Vom ihm beziehe ich kostbaren Honig und Schafsfleisch allerhöchster Qualität. Um nicht erst von seinen rosafarbenen, mit schwarzen Flecken gesprenkelten Schweinen zu sprechen. Auch eine alte Buchweizensorte baut Gunter an, die ich gerne bei hoher Temperatur im Ofen röste und sie dann in einer Brühe ziehen lasse wie Tee. Ich habe das in meiner Zeit in Japan kennengelernt, und es schmeckt köstlich. Auch der Speck, den Gunter räuchert und dann im Keller des alten Pfarrhauses von St. Peter reifen lässt, schmeckt besser, als Worte beschreiben könnten: eine Köstlichkeit wie aus längst vergangenen Zeiten.

Es ist schön zuzuhören, wenn Gunter mit seinen Bienen spricht – wie ein rebellischer Heiliger Franziskus alpiner Prägung. Es ist schön, zuzusehen, wie er seine Schafe streichelt, die ihm schon freudig über die Weide entgegenlaufen, wenn sie ihn kommen sehen. Es ist schön, ihn dabei zu beobachten, wie er mit der Sense die Wiesen mäht und das Gras auf seine Schubkarre lädt, um es den Schweinen zu bringen, die dann voller Vorfreude laut grunzen. Gunters Nibelungenbart und sein Filzhut sind klarer Ausdruck seines bäuerlichen Stolzes und Selbstverständnisses, mit dem er der Übermacht der von Chemiebomben hochgerüsteten Monokulturen entgegentritt. Es ist ein ungleicher Kampf; Gunter kommt mir wie ein Don Quichote vor, der sich vor den Geislerspitzen den Mund fusselig redet. Das Schönste, was ich nach jedem Besuch bei Gunter mitnehme und was mir guttut wie ein wunderbar kuscheliger Wollpullover, ist das Gefühl reinen Glücks. Rein im Sinne von integer, eigenwillig, rebellisch und antikonformistisch. Wenn ich danach wieder in der Küche stehe, ist es, als würde ich eine lange Reihe tibetanischer Gebetsfahnen auf dem Pass des guten Essens anbringen. Möge die Natur mit euch sein.

Simone Cantafio