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Unser Afrika

Warum expandiert der Homo oeconomicus tirolensis mit seinen Hotels eigentlich immer nur in Regionen ganz in der Nähe – und denkt nicht daran, dass er sein Erfolgsmodell auch nach Afrika exportieren könnte?

Als begeisterter Unternehmer schafft der Homo faber es einfach nicht, sich von seinem Drang zu befreien, immer mehr zu produzieren, zu bauen, zu konsumieren.

Der Homo oeconomicus tirolensis – zu dem auch ich gehöre – macht da leider keine Ausnahme. Und weil er in seinem heimischen, kleinen Südtirol keinen Grund und Boden mehr findet, den er versiegeln könnte, weicht er an die Ufer des Gardasees aus, über die Landesgrenzen hinweg nach Ost und West und sogar nach Etrurien, ins Land der Etrusker.

Seine Anpassungsfähigkeit – mit der er sich ja längst vom überholten und langweiligen Modell echter, aufrichtiger Gastfreundschaft verabschiedet hat – ist hinlänglich bekannt. Deshalb sind ja auch seine Spas Weltklasse, deshalb ist seine Küche sehr gut bis absolut überragend, deshalb wird in seinem Betrieb supereffizient gearbeitet. Und die Bilanz kann sich natürlich auch sehen lassen.

Kurz gesagt, in der Geschichte des Homo oeconomicus tirolensis samt Lederhosen und Tirolerhut reiht sich ein Erfolg an den anderen. Ehre, wem Ehre gebührt.

Das Tourismussystem dahinter trägt trotz allen Erfolgs nicht zu einer größeren Zufriedenheit der Menschen. Es muss immer mehr darum kämpfen muss, gute Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu finden. Es muss sich mit dem deutlichen Auseinanderklaffen von Hotelschulen und Arbeitswirklichkeit herumschlagen, es kommuniziert mit falschen Bildern, vermag sich keine Grenzen zu setzen. Sein Angebot wird immer verwechselbarer, einheitlicher. Doch von diesem System wollen wir jetzt nicht sprechen.

Ich würde aber gerne verstehen, was den Homo oeconomicus tirolensis dazu treibt, in der relativen nahen Nachbarschaft zu unserer Heimat neue Betriebe zu eröffnen. Und warum er nicht auf die Idee kommt, sein Erfolgsmodell stattdessen in ferne Länder zu exportieren. Afrika zum Beispiel. Auf die Idee hat mich die Wirtschaftszeitung Il Sole 24ore gebracht, eine respektable Quelle. Nach Afrika also, dem schwarzen Kontinent, dessen Beziehungen mit dem Rest der Welt sich gerade radikal verändern.

Während bei uns im goldenen Westen, wo die Gesellschaft im Verhältnis zu anderen viel zu reich ist, während bei uns also die Geburtenraten überall ins Bodenlose fallen, während es bei uns immer weniger junge Menschen und immer mehr Alte gibt – die, nebenbei bemerkt, von wem eigentlich gepflegt werden sollen? – sieht es in Afrika komplett entgegengesetzt aus.

Mindestens ein Drittel aller jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren wird in 25 Jahren Afrikaner oder Afrikanerin sein.

Afrika steckt voller Bodenschätze, besitzt all die Mineralien, die für die Produktion von Elektroautos und Solaranlagen gebraucht werden.

Letzteres könnte eine gute Nachricht auch fürs Klima sein, wenn nicht leider auch gleichzeitig andere Dinge geschähen, die mich ziemlich deprimieren.

Zum Beispiel beginnt am 30. November die Cop 28, die UN-Klimakonferenz. Sie findet in Dubai statt, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate. Die sind das Land mit der siebtgrößten Erdölförderung der Welt und einer der größten Erdölexporteure. Ich bin äußerst skeptisch, dass die Cop 28 zu positiven Ergebnissen führen wird – denn wie sollte sie? Der Präsident der Cop 28 ist der Boss des Petro-Konzerns Adnoc, und die Emirate gehören zu jenen Ländern, die eine beträchtliche Ausweitung ihrer Fördermengen im nächsten Jahrzehnt anstreben. Das Gleiche gilt für den Großteil der anderen Golfstaaten. Kuwait und Qatar streben übrigens überhaupt keine Klimaziele an; Saudi-Arabien und Bahrain haben ihre Klimaneutralität aufs Jahr 2060 verschoben, während die iranische Rohöl-Exportstrategie von den internationalen Sanktionen abhängt. Alles nicht sehr erfreulich.

Doch zurück zu uns und zu Afrika.

Seit diesem September zählt die Afrikanische Union zum G20, also zum wichtigsten Forum der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Sie sitzt jetzt mit der EU am Tisch. Die internationalen Konzerne haben Millionen afrikanische Konsumenten ins Auge gefasst, die jedes Jahr neu dazukommen, und haben da jede Menge Märkte aller Art ausgemacht, die sich erschließen ließen. Was könnte man da nicht alles verkaufen, angefangen von Kosmetik über den ganzen Bio-Bereich bis hin zu Wein und Hotelzimmern! Der Hotelkonzert Hilton will in Afrika in den nächsten fünf Jahren 65 neue Hotels eröffnen. Und das nicht aus einer Laune heraus, sondern weil man aufgrund von Marktforschung und anderer Studien weiß, dass nirgendwo mehr Millionäre heranwachsen als in Afrika. Nicht in China, wie man vielleicht gedacht hätte, und auch nicht in Indien. Nein, die neuen Superreichen kommen aus Afrika! Die Bank Credit Suisse rechnet für den schwarzen Kontinent mit 768.000 Millionären in den nächsten vier Jahren. Die große Herausforderung für Afrika wird nun darin bestehen, ein hemmungsloses Wachstum in den Griff zu bekommen. In den nächsten zehn Jahren wird Afrika über die meisten Arbeitskräfte der Welt verfügen, mehr als Indien und China. Und im Jahr 2040 werden zwei von fünf Kindern weltweit aus Afrika stammen.

Was auch immer Leghisti, Fratelli d’Italia und Südtiroler Freiheit dazu sagen mögen. Überhaupt wird uns angesichts dieser Zahlen mal wieder so richtig klar, wie kurzsichtig und limitiert dieser Typ Politiker bei uns denkt und handelt.

Für uns jedoch, liebe Hoteliers-Kollegen und -kolleginnen, tut sich hier eine Lösung auf. Lassen wir doch einfach die Toskana, den Gardasee und unser Südtirol sein und gehen wir nach Afrika. Ich sage wir, weil ich damit auch mich und meine Familie meine, die wir als Hoteliers nicht gerne tatenlos herumsitzen.

Gehen wir nach Afrika, wo die beste Musik der Welt ihren Ursprung hat – was wäre ohne den Blues aus gewissen weißen Männern namens Keith, Mick, John oder Eric geworden? An gutem Wein fehlt es in Afrika ebenso nicht, und noch viel weniger an guter Kunst. Kennt ihr zum Beispiel Julie Mehretu? Es gibt auch Berge in Afrika! Es gibt Seen dort, so groß, dass der Gardasee im Vergleich wie eine kleine Pfütze wirkt.

Den Blick mal nach Afrika zu richten, kann also eine ganz gute Idee sein. Und es ist ja nicht so, als hätten wir das nicht auch in der Vergangenheit schon getan. Nur leider auf höchst ungute Weise. Wir haben Afrikas Rohstoffe ausgebeutet, haben Abermillionen Sklaven exportiert, haben das Land kolonialisiert, Umweltkatastrophen und Kriege ausgelöst, haben die Bevölkerung unterdrückt und ihr Gewalt angetan, haben mit brutaler Hand sinnlose Grenzen gezogen und sinnlose Staaten gegründet.

Darum sollte unser Afrika-Ansatz in der Zukunft anders aussehen. Auch wenn ich befürchte, dass Mächte wie China – das schon seit einiger Zeit in Afrika aktiv ist –, dass Russland, die USA und selbst die Türkei und die Petro-Monarchien der Golfstaaten ihre afrikanischen Interessen besonders zartfühlend durchsetzen werden.

Aber auch wir als Homo oeconomicus tirolensis können unseren Beitrag leisten. Und so sehe ich schon Zwiebeltürme zwischen Affenbrotbäumen herausspitzen, ich sehe Rodelschlitten aus Ebenholz, 20.000-Quadratmeter-Spas (denn in Afrika darf natürlich alles ein wenig größer sein), ich sehe Bergbahnen, auch wenn die dauerhaft schneebedeckten Regionen Afrikas nicht so wahnsinnig zahlreich sind und zudem praktisch unerreichbar. Abgesehen davon ist das Skifahren auf den Rwenzori-Bergen zwischen Uganda und Kongo, auf dem Krapf-Rognon-Gletscher, am Mount Kenya und auf dem Kilimandscharo in Tansania strengstens verboten. Völlig zu Recht. Man darf sich diese Gebirgsschönheiten ansehen, man darf sie gegebenenfalls besteigen, aber sonst nichts. Gut so.

Ob es uns wohl gelingen wird, das erfolgreiche Südtirol-Modell auch in die abgelegenste Savanne zu exportieren? Ich hätte große Lust dazu. Mamma Afrika erwartet uns mit offenen Armen! Und auch wenn es so much trouble in the world gibt, wie Bob Marley mit Blick auf sein Africa Unite sang, so haben wir doch auch immer noch so many solutions in unserem Rucksack.

Michil Costa