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Pessimismus der Intelligenz, Optimismus des Willens

Der Leitsatz von Romain Rolland, dem Literaturnobelpreisträger von 1915, ist aktueller denn je: Die zeitgenössischen Dramen, die sich abspielen, müssen uns aufrütteln. Gleichzeitig sollten wir nicht zulassen, dass die Übel der Welt unser Leben trüben. Im Gegenteil, manchmal habe ich den Eindruck, dass schon der Beitrag eines einfachen Lächelns ausreicht, um ein kleines Streichholz in einem schwarzen Loch zu entzünden.

„Wie geht es dir?“, werde ich gefragt. „Mir geht es gut, ich bin wirklich zufrieden“, antworte ich. Und mein Gegenüber wundert sich. Ich bekräftige: „Ich freue mich über mein Leben“. Jetzt schaut er mich richtig komisch an. „Ein guter Tag erwartet mich“, ergänze ich heiter. Vermutlich denkt mein Gesprächspartner jetzt, ich sei Opfer einer unheilbaren, rasch voranschreitenden Geisteskrankheit. Oder kurz vor dem Abflug ins Jenseits, sodass ich angesichts des nahenden Endes bereits in der Vorstellung von Engeln und allgemeiner Seligkeit schwelge. Doch selbst diese Erklärung mache ich zunichte. „Auch gesundheitlich geht es mir prächtig“, sage ich. Nun rufen sie alle ungläubig im Chor: „Du Glücklicher, dass bei dir alles so prima läuft!“ Ich sehe sie mir genauer an. Neidisch sind sie, unzufrieden mit ihrem Leben oder ganz auf ihre eigenen Leiden und Probleme konzentriert. „Ich lebe im lauten und dreckigen Mailand“, klagt der eine. Und ein anderer: „Ich bin Anwalt, ein wirklich unerfreulicher Beruf.“ Reden wir also Klartext: Ich habe ein paar Wehwechen, logisch, doch die sind nicht dramatisch, dass ich morgen schon den Löffel abgeben müsste. Und ich habe ja auch nur gesagt, dass mich ein guter Tag erwartet und nicht der letzte meines Lebens. So Gott will, versteht sich. Doch alles andere beruht durchaus auf einer gewissen Wahrheit.

Ich gebe offen zu: Das Leben meint es gut mit mir. Die Geschäfte laufen, dazu lebe ich in so hinreißend schönen Gegenden wie dem toskanischen Val d’Orcia und den Dolomiten. Ich gehöre zu den privilegierten Menschen, die im besten Teil der Welt geboren wurden und nicht in einem Ghetto, einer Banlieue oder einem Slum. Auch in der Liebe habe ich Glück gehabt. Hier und dort zwickt es neuerdings ein bisschen, aber egal, dann kann ich eben keine Motocross-Rennen mehr fahren oder mich aus 4.000 Metern Höhe mit dem Fallschirm in die Tiefe stürzen. Ich habe zudem das Glück, mit wunderbaren Menschen zusammenarbeiten zu können. Ich darf mich beruflich mit Gastfreundschaft beschäftigen – und ja, ich bin mit meinem Leben zufrieden. Soll ich das nicht sagen dürfen?

Ein paar Grauzonen gibt es natürlich auch bei mir, aber ich kann ehrlich sagen, dass ich mich immer bemühe, auch in diesen dunkleren Bereichen für Licht zu sorgen. Seit einiger Zeit schon gehe ich Menschen aus dem Weg, die mich der Hölle ausliefern wollen. Denen, die immer nur reden, ohne jemals zuzuhören. Oder schlimmer noch, die nur um des Redens willen reden, die mit Gott und der ganzen Welt über Kreuz sind und immer nur die gleichen Dinge erzählen, ohne je aus den Worten der anderen etwas dazuzulernen. Solche Menschen interessieren mich nicht; die grüße ich nach ein paar Minuten freundlich und gehe weiter. Ich will nicht mehr der Abfalleimer für den Müll anderer Menschen sein. Wer mir gegenüber sein ganzes Weh und Ach und die ganzen schlimmen Nachrichten dieser Welt auskotzt, der bringt mich zum Nachdenken. Ich versuche ihn zu verstehen und zu begreifen. Doch deprimieren lasse ich mich nicht.

Nein, vom großen Weltschmerz und Pessimismus lasse ich mich nicht mitreißen. Ich gehöre meines Erachtens aber auch nicht zu den naiven Optimisten, die so von sich erfüllt sind, dass sie sich völlig selbst genügen. Ich gehören nicht zu denen, die sich nur um ihr eigenes Wohl kümmern und denen die Mitmenschen und der Rest der Welt piepegal sind. Ich weiß genau, dass blinder Optimismus dich die Gefahren nicht erkennen lässt und dir das Abenteuer ungemütlicher Situationen verwehrt. Die richtige Dosis an Aufmerksamkeit und Achtsamkeit ist fundamental wichtig, denn wer Gefahren schon aus der Ferne erkennt, kann die Hürden behutsam überspringen. Das wusste schon Ralph Waldo Emerson. „Tue stets das, was du zu tun fürchtest“, hat er gesagt. Die großen Dramen unserer Zeit und unserer Tage erschüttern mich, ganz klar, doch ich lasse mir von den Leiden der Welt nicht die Lebensfreude trüben. Im Gegenteil: Manchmal habe ich den Eindruck, dass schon ein einfaches Lächeln reicht, um selbst in einem schwarzen Abgrund ein Zündholz aufflammen zu lassen.

Wenn ich also ein glücklicher Mensch bin, dann hat das auch mit einer gewissen Lebenseinstellung zu tun. Als unverbesserlicher Optimist wandere ich gern durch die Hügellandschaft der Toskana oder genieße es, in den Dolomiten mit den Fellen unter den Skiern loszugehen. Die auch für mich unvermeidlichen Jobprobleme lasse ich solange im Hotel zurück. Über solche Themen spreche ich ausschließlich im Büro – nie im Privatleben. Optimismus betrachte ich als wichtige Voraussetzung für Resilienz. Mein Optimismus lässt mich die kleinen Alltagsfreuden bewusst wahrnehmen und schätzen. Nie vergesse ich, die Sonne zu grüßen; meine tägliche Zigarre verschafft mir höchsten Genuss und ich genieße die warme Umarmung meiner geliebten Frau vor dem Einschlafen. Ob all das nicht auch die Frucht eines gewisses Bewusstseins, einer Überlegung ist?

Nun ist in jedem von uns mit Sicherheit das negative Element stärker angelegt als das positive. Und zwar in dem Sinne, dass wir eher dazu neigen, unsere Aufmerksamkeit auf alarmierende Fakten zu richten. Wenn wir Zeitung lesen, Nachrichten gucken oder durch die Social-Media-Kanäle scrollen, ziehen uns die schlechten Nachrichten, die Katastrophen und Dramen viel stärker an als all das Schöne, das uns umgibt. Und diese Neigung wird von Populisten, Souveränisten, Verschwörungstheoretikern und so weiter nach Kräften ausgenutzt. Wissenschaftler führen dieses Ungleichgewicht auf das Gehirn des Urmenschen zurück. Der negative Part hat sichergestellt, dass sich bei uns sämtliche Antennen aufrichteten, sobald wir in die Nähe zu gefährlichen Tieren gerieten. Nun gibt es heute zwar keine Mammuts mehr, gegen die wir kämpfen müssten, und die allergefährlichsten Lebewesen sind die, die sich auf zwei Beinen mitten unter uns bewegen. Doch der Pessimismus, mit dem wir auf die Welt blicken, hält uns in permanenter Krisenstimmung und stresst uns unnötig. Dabei sind wir doch – wenigstens theoretisch – einigermaßen intelligente Erdbewohner und somit in der Lage, gute von schlechten Informationsquellen zu unterscheiden. Es bringt also überhaupt nichts, wenn wir uns immer nur schlechte Nachrichten auftischen lassen. Denn selbst wenn das Schöne vielleicht nichts rettet, so ist doch ausgemacht, dass das Hässliche alles immer noch hässlicher macht.

Was den Menschen deprimiert, ist das Gefühl, dass er nichts bewegen, nicht ändern kann. Es macht sich dann Pessimismus breit, ein frustrierendes Gefühl, das uns ganz hilflos macht. In Diktaturen wird den Menschen Unabhängigkeit und Freiheit genommen. In einem präsidentiellen Land lässt der Staat dem Einzelnen zwar seine Bewegungsfreiheit, doch ein Präsident, der ganz allein entscheiden kann, was er will, kann auch ganz schön deprimierend sein, finden Sie nicht? Und haben die Boote, die immer noch im Mittelmeer untergehen, nicht allmählich auch unsere Aufmerksamkeit versenkt? Lässt uns das nicht fast schon kalt? Und das ist nun wirklich furchtbar. Erst recht, wenn wir uns stattdessen lieber über unseren Nachbarn aufregen. So ähnlich kommt es mir auch in Sachen Klimakatastrophe vor. Angesichts dieser gewaltigen, von uns selbst ausgelösten atmosphärischen Veränderungen fühlen wir uns klein und machtlos. Unser Verbrenner- durch ein Elektroauto zu ersetzen, fühlt sich nicht an, als ob es wirklich was brächte. Ist doch wahrscheinlich wieder nur so ein Marketingding. Oder interessiert uns nicht wirklich. Und das hat zwei Gründe. Zum einen beeinflusst das veränderte Klima unser Leben noch nicht tief genug – offenbar gab es noch nicht genügend Tote, und die bereits geschehenen Katastrophen haben uns nicht wirklich berührt. Zum anderen sind wir anscheinend nicht in der Lage, die Zeiträume richtig einzuschätzen. Gut, der Meeresspiegel wird um 60 Meter steigen, aber doch erst irgendwann in 850 Jahren oder so, nicht wahr? Ist ja noch ewig hin. Who cares! Wir lügen uns selbst in die Taschen, weil wir der Wirklichkeit nicht ins Gesicht sehen wollen. Und lieber lassen wir uns in schlechtgelaunter Opferstimmung bemitleiden, als dass wir unser Schicksal in die Hand nehmen und wie echte Männer und Frauen agieren. Es schneit fast überhaupt nicht mehr, und diese Dürre ist ein Teil von uns. Dabei kennen wir die Geschichte von Friedrich II. Es sind ja auch erst 800 Jahre vergangen.

Pessimist zu sein ist leicht, tröstlich und macht es einfach, die Schuld an den Verhältnissen stets den anderen in die Schuhe zu schieben. Doch etwas habe ich begriffen: Es geht mir nicht gut als Pessimist und, mehr noch: Es bringt nichts. Und da ich mich und meine Mitmenschen mag, versuche ich mit einer ordentlichen Ladung Optimismus im Gepäck die Welt ein bisschen besser zu machen. Doch jetzt steige ich erst einmal zum Col Alto hoch. Voller Dankbarkeit Ihnen gegenüber, die Sie mir mit der Lektüre dieser Zeilen das kostbarste Geschenk überhaupt gemacht haben: Ihre Zeit. Giulan. Ich habe Glück im Leben. Wir alle hier in der Gegend haben Glück im Leben. Und das dürfen wir nie vergessen.

Michil Costa