Vom Brunnen zum Himmel: Lektionen der Gastfreundschaft

Was kann uns Menschen die alte Fabel von Äsops Esel im Brunnen lehren?

Manchmal braucht es einen Moment kindlicher Leichtigkeit, um wirklich erwachsen zu sein. So kam mir eines Tages die alte Fabel von Äsop in den Sinn. Und plötzlich wurde die Geschichte eines Esels zu etwas ganz Wertvollem.


Esel sind, mit ihrer Sanftheit, einige der intelligentesten und sensibelsten Tiere überhaupt. Eines Tages werden wir einen Esel in unserem Team haben – er wird das Gras abweiden und unseren manchmal müden Mitarbeitenden Gesellschaft leisten. Kein Scherz. Ein Tier, ein wenig stur, aber geduldig, mutig, ausdauernd. Und genau das brauchen wir.


Gegenüber unserem Hotel La Posta in Bagno Vignoni steht Zorro. Er schreit hin und wieder – ruft er vielleicht jemanden? Auf jeden Fall holt er mich in die Realität zurück, wenn ich abgelenkt bin, und bringt mich jedes Mal zum Lächeln.

Kehren wir zur Fabel von Äsop zurück. Es war einmal ein armer Esel, der in einen trockenen Brunnen fiel. Der Bauer, dem er gehörte, entschied, dass das Tier zu alt sei, um sich die Mühe der Rettung zu machen. Und da der Brunnen ohnehin ausgetrocknet war, sollte er ohnehin zugeschüttet werden.
Er rief seine Nachbarn – eine hübsche Bande Halunken – und alle begannen, Erde in den Brunnen zu schaufeln. Der Esel schrie verzweifelt, aber nach ein paar Schaufeln verstummte er. Der Bauer schaute hinunter – und war erstaunt über das, was er sah:
Der Esel, bei jeder Schaufel Erde, die ihn traf, schüttelte sie ab und trat darauf, machte sich daraus eine Stufe.


Bald sahen alle, wie der Esel den Brunnenrand erreichte, darüber kletterte und davontrabte. Wenn er hätte sprechen können, hätte er seinem Besitzer wohl ein paar Takte gesagt – und hoffentlich hat er ihm wenigstens einen kleinen Tritt verpasst.

Und wir Menschen? Wie viel Erde wird uns täglich über den Kopf geschüttet? Wie oft lässt uns das Leben in einen tiefen Brunnen stürzen, in dem alles hoffnungslos erscheint? Wenn wir auf die Welt blicken, auf die tägliche Resignation, mit der wir unser Umfeld betrachten, möchte man am liebsten einen Kollegen anrufen und sagen: „Ich ziehe mich in eine Höhle zurück“ – oder eben in einen Brunnen.

Die Wahrheit ist: Das Leben wird uns früher oder später zu Boden werfen. Enttäuschungen, Fehler, vorschnelle Urteile, Misserfolge – das ist unvermeidlich. Doch darum geht es nicht. Die Frage ist: Was machen wir daraus?

Das Geheimnis, aus dem Brunnen herauszukommen, ist nicht, so zu tun, als wären wir gar nicht darin. Es geht darum, mit dem, was wir haben, einen Weg nach oben zu finden. Den Mut zu haben, unsere Neugier wiederzuentdecken, das Neue zu suchen und nicht einfach nur zu warten, dass ein Korb vom Himmel herabgelassen wird.


Aufstehen, die Müdigkeit abschütteln, neu beginnen und sagen: „So, jetzt steige ich hinauf und trabe weiter.“ Oder zumindest versuche ich es.

Das Perfekte ist unmenschlich, denn der Mensch ist unvollkommen. Wir sind nicht perfekt – und vielleicht wollen wir das auch gar nicht sein.


Perfekt zu sein hieße, das menschliche Gespür für Gastfreundschaft zu verlieren – jene Xenia, verstanden als Offenheit der Seele und Respekt, die der Grund ist, warum wir täglich arbeiten.
Xenia, wie sie ursprünglich gemeint war – ein heiliger Bund zwischen Gastgeber und Gast, ein Austausch, der über Generationen anhielt.

Haben wir in all diesen Jahren Fehler gemacht? Oh ja, viele. Waren wir widersprüchlich? Auch das. Hat man uns Erde über den Kopf geschüttet? Gewiss – und wahrscheinlich wird noch mehr kommen, wie bei allen.
Aber wir haben diese Erde genutzt, um etwas aufzubauen, um dem, was wir tun, einen Sinn zu geben, um aus unserem eigenen Brunnen zu klettern – der vielleicht schön war, aber eben doch ein Brunnen blieb.

In dieser seltsamen Welt der Gastfreundschaft sind Brunnen häufig, beunruhigend und oft unter unseren Füßen gegraben: die unerwartete Beschwerde, die unmögliche Anfrage, ein Labyrinth ohne Ausweg; die Saison, die nicht in Gang kommt, ein heiliger Ort, entweiht durch unsere Gier; der gute Junge, in den wir so viel investiert haben, der kündigt, weil die Hütte auf 2.000 Metern besser zahlt; der Gast, der nicht mehr kommt, weil das Wetter unbeständig ist; die Bewertung, die dich stört wie eine Mücke, gerade wenn du eingeschlafen bist.

Und dennoch müssen wir mit offenem Herzen weiter empfangen und an den Tourismus als echte Gastfreundschaft glauben. Denn Gastfreundschaft ist ein Akt der Liebe.
Und wir wollen weiterhin Gastfreundschaft sein und leben – mit aller Erde dieser Welt und vielleicht, wer weiß, mit einem kleinen Esel, der anstelle einer Last ein buntes Gilet trägt und das Gras auf unserer Wiese zupft.

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