ES GIBT KEINE LANDSCHAFT

Die Landschaft findet man nicht im Erscheinungsbild der Umwelt, sondern im Kopf des Beobachters

Je mehr das, was er sieht, mit seinen Erwartungen übereinstimmt – der Brunnen vor dem Tor, das stille Seeufer, der verschneite Berggipfel – desto zufriedener ist der Besucher.
Lucius Burckhardt

Wir selbst sind es, die eine Landschaft lesen, die wir ihr Eigenschaften zusprechen, welche sie in Wirklichkeit gar nicht besitzt. Wir sind es, die eine Landschaft als wild oder einsam oder wehmütig bezeichnen, und zwar auf der Basis unserer eigenen Erfahrungen und persönlichen Erinnerungen. Berge beispielsweise sind die Verbindung aus einer bestimmten geologischen Formation und unserer Vorstellung. Berge töten nicht und bereiten keinen Genuss. Sie stehen einfach nur da und verändern sich im Laufe der Jahrtausende.

 

Die Idee von Landschaft ist somit nur das momentane Produkt aus Vorstellung und Emotivität angesichts einer Natur, die sich seit Millionen von Jahren immer weiterentwickelt. Apropos, die Alpen sind erdgeschichtlich gesehen relativ jung, weil sie erst vor etwa 65 Millionen Jahren entstanden sind. Landschaft hingegen ist das Ergebnis eines Schaffensakts unseres Gehirns, das sich dabei kultureller Filter bedient und so gewisse Dinge einfach ausblendet. Gleichzeitig bündelt es durch integrative Prozesse aber auch unterschiedliche Elemente zu einer einzigen Vision. Anders ausgedrückt: Wir erschaffen Landschaften auf der Basis unserer Erziehung. Das bedeutet nichts anderes, dass wir bei der Betrachtung einer Landschaft in Wirklichkeit in unserem eigenen Geist unterwegs sind.

 

Manchmal sehen wir irgendwo eine alte Burg. Eine Ruine. Wie schön!, ruft sofort eine Stimme in uns. Weil wir gelernt haben, das Bild einer Burgruine mit etwas Märchenhaftem, Schönem zu assoziieren. Dabei vergessen wir völlig, dass diese spezifische Burg vielleicht gebaut wurde, um die umliegende Bevölkerung in Schach zu halten und Angst und Schrecken zu verbreiten. Was wir daraus lernen können? Dass wir der Ästhetik des Schönen, Hübschen und Lieblichen mit Vorsicht begegnen müssen, weil es sonst dazu kommen kann, dass unsere Blickpunkte sich alle vereinheitlichen. Und wir selbst vereinheitlicht werden – von einer Ästhetik, die uns die Tourismusindustrie aufzwingt.