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Incö fühlt sich ein bisschen an, als würde man nach zwanzig Jahren auf Weltreise endlich wieder nach Hause kommen. Ahh …. Endlich wieder daheim! Von seinen Reisen erzählen, von den Wegen, die man beschritten hat, heißt ja immer auch, vom eigenen Leben zu erzählen. Vom Leben, das sich in uns drin abgespielt hat, und vom Leben draußen. Vom Leben, das sich Tag für Tag vor unseren Augen abrollt, und vom spirituellen Leben, dem himmlischen Aspekt, der schwer mit Händen zu greifen ist. Zu reisen heißt, zu leben. Meine Reisen (mein Leben) haben mich nach Frankreich und Japan geführt; es ging dabei um Kochen und um Liebe. Es war eine Schule des Handwerks, der Kochkunst und der Kreativität. Kreativität, um die sich stets alles drehte und die alles Schlichte, alles Einfache mit einem Hochglanz-Überzug versah.
Man geht also auf Reisen und kehrt dann zurück. Denn die Rückkehr ist in jeder Reise ja zwangsläufig schon mit angelegt. Manchmal kommt es mir sogar vor, als würden die Leute nur deshalb auf Reisen gehen, um anschließend die Heimkehr genießen zu können. Die Rückkehr ist gewissermaßen die Bedingung, die der Reisende stellt, um eine Reise anzutreten. Allerdings trifft man nach seiner Rückkehr oft eine Welt an, die nur scheinbar dieselbe ist wie vor der Reise. Oder zumindest nicht in jeder Hinsicht. Wenn ich mich nach meiner langen Abwesenheit nun also so umsehe im Lande, dann frage ich mich zum Beispiel: Wo ist unsere italienische Wesensart hinverschwunden? Was ist mit all diesen Eigenschaften geschehen, die uns von anderen unterscheiden und die Teil unserer Identität sind?
Es stimmt schon, heute wird viel von Regionalität gesprochen. Aber reicht wirklich ein bisschen Sinn für Traditionen, damit wir uns zuhause fühlen können? Für mich bedeutet zuhause, dass ich in direktem Kontakt mit kleinen Produzenten bin. Dass ich jeden von ihnen persönlich kenne, dass ich gemeinsam mit ihnen beschließe, was bei uns auf den Tisch kommt. Für mich ist Nachhausekommen so, wie es für meine Oma war, die morgens auf dem Markt einkaufte und uns abends mit ihren Mahlzeiten beglückte. Heimzukehren heißt zu wissen, dass eine Almbutter auch wirklich eine Almbutter ist. Nicht nur weil ich den dazugehörigen Almbauern kenne, sondern auch die Kühe, die ihre Milch dazu geben, und die Weiden, auf denen diese Kühe fressen. Das Gleiche gilt für das Fleisch, das wir verwenden, für den Fisch, die verschiedenen Mehlsorten, die Gemüse und Kräuter. Mit jedem einzelnen dieser Bauern pflegen wir eine Verbindung, die nicht nur darin besteht, dass man sich gegenseitig kennt. Sie besteht auch aus Austausch, aus ständigem Dialog, aus der Tatsache, dass wir uns gegenseitig helfen. Alle diese Verbindungsfäden verdichten sich dann zu einem Stück gemeinsamen Lebens. Eines Lebens, das wir erzählen wollen – mit Worten, aber auch in unseren Gerichten. „Heute hätten wir Gelbschwanzmakrele. Was meinst du, wär’ das was?“. „Na klar wär’ das was!“. So geht es von morgens bis abends, wie bei einem Puzzle, in dem alle Teile zusammenfinden. Von den Vorspeisen über den Hauptgang bis hin zum Dessert.
Das Gefühl von zuhause drückt sich für mich auch in der Freude daran aus, Geschichten zu erzählen. Die von George zum Beispiel, der sich vom Architekten zum Gemüsebauern gewandelt hat. Oder die von Marlene, die das schöne Wien verlassen hat, um an den Berghängen von Villnöss Gänse zu züchten. Nachhause kommen heißt auch, ein Abendessen so zu kochen, als würden die alten Freunde am Tisch sitzen. Die Menschen, die uns am Herzen liegen. Und das jeden Abend. Sollten wir dabei mal Lust haben, ofenwarme Focaccia oder ein Tiramisu ins Menü aufzunehmen, dann tun wir auch das ganz problemlos. Nach Hause zu kommen, bedeutet auch: Glitter und Flitter abzustreifen – sprich, die übertriebenen High-Tech-Spielereien der modernen Küche – und zur Substanz zurückzukehren. Mit Liebe und Freude. Dazu gehört auch, mit den Gästen über das Essen zu sprechen, über den Wein, über die Orte, wo alles herkommt. Poesie und Geografie, sozusagen. Zum Zuhause-Gefühl trägt ebenfalls bei, dass wir den Tisch mit dem wunderbaren, bunt zusammengewürfelten Geschirr eindecken, das Stefan auf Floh- und Antikmärkten eingekauft hat. Sich zuhause fühlen heißt auch, dass wir uns von den Fußfesseln des klassischen Gourmet-Services befreien und bei Tisch dafür das Prinzip des Teilens anwenden, der Grundlage jedes geselligen Beisammenseins, das diesen Namen verdient.
All das ist Incö, der ganz besondere Tisch in unserer Weinstube. Ein Tisch, an dem sich der Gast wie zuhause fühlt. In warmem, holzgetäfeltem Ambiente, mit dem Blick auf beste Weinflaschen und dem guten Duft der Dolomiten in der Nase.
Simone Cantafio