EIN BUCH, EIN GESPRÄCH

Wir alle sind Pilger

Am Freitag, dem 4. November, findet um 17 Uhr im Hotel Posta Marcucci in Bagno Vignoni ein Gespräch zwischen dem Schriftsteller Giuseppe Cederna und Michil Costa statt. Dabei geht es um das Pilgern, das Wandern und das langsame, tiefe und sanfte Reisen.
Zusätzlich zu Gespräch und Lesungen wird das Buch Siamo tutti pellegrini(auf Deutsch: Wir alle sind Pilger) vorgestellt, für das wir die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Posta Marcucci auf der Via Francigena fotografiert haben, und zwar im Abschnitt zwischen San Quirico und Rocca d’Orcia.

Aus der Einleitung des Buchs Siamo tutti pellegrini

 

Bagno Vignoni, Val d’Orcia, Via Francigena. Wir schreiben das Jahr 990 nach Christus. Abt Sigerich, der aus Rom kommt, wo er aus den Händen des Papstes gerade das Pallium entgegengenommen hat, das Symbol seines neuen Amtes als Erzbischof, ist auf dem Weg zurück nach Canterbury. Zu Fuß. In aller Ruhe. Im Pilgermodus zwischen Mittelmeer und Ärmelkanal. Durch ein Europa, das gewisse Autokraten heute wieder kleinmachen wollen. Oder sogar ganz niederschlagen. Was für ein Dummkopf! Natürlich ist hier nicht von Sigerich die Rede, sondern vom Kriegstreiber, der von Atompilzen träumt.

 

Der alte Pilgerpfad Via Francigena hat sich heute zu einer pulsierenden Wanderer-Arterie quer durch Europa entwickelt, und das dank unzähliger Menschen, die darauf ganz, ganz langsam unterwegs sind – zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Denn das Gute ist: Um loszumarschieren oder loszuradeln, muss man nicht zu den Supersportlern gehören, Achttausender erklommen oder den Giro d’Italia auf dem Fahrradsattel absolviert haben. Man muss nicht am Nordpol gewesen oder aufs Stilfser Joch gebikt sein. Denn das Wandern und das Radfahren sind in jedem von uns bereits angelegt, es braucht keine anspruchsvollen Superziele. Es reichen ein ordentliches Paar Schuhe oder ein gutes Fahrrad, dazu vielleicht noch ein Rucksack. Und schon kann es losgehen. Wandern und Radfahren kann man übrigens auch in der Stadt – und dabei entdecken und „erfahren“, wo wir eigentlich leben. Wandern und Radfahren sind heute geradezu revolutionäre Akte geworden, die funktionieren, ohne dass eigens irgendwelche Barrieren errichtet werden müssen. Es reicht, auf ein paar bewährte Bequemlichkeiten zu verzichten. Wie Erlin Kagge schreibt: „Sich der Tyrannei der Geschwindigkeit zu entziehen, heißt den Zauber auszudehnen, der in jedem Augenblick steckt, und dem Leben seine Intensität zurückzugeben.“

Kommen wir zu den Wohltaten des Wanderns und des Radfahrens: Beide führen zu besserer Gesundheit, zu einem effizienteren Gedächtnis und zu mehr Kreativität. Wir, die wir im Val d’Orcia leben, wissen, wovon wir sprechen. Und hier, im Val d’Orcia und über die mittlerweile legendäre Via Francigena, möchten wir unsere Gäste einladen, diese ganz ursprüngliche Erfahrung des langsamen Fortkommens in ein außergewöhnliches Abenteuer zu verwandeln. Und in unserem Haus in Bagno Vignoni, seit langer Zeit als Albergo Posta Marcucci bekannt, das Refugium und die herzliche Gastfreundschaft zu finden, die es zur Erfüllung bestimmter Träume nun mal braucht. Träume, die vom Wandern handeln, von der Bewegung, vom Nomadentum. Träume von Freiheit und Ekstase. Träume von der Liebe. Denn was ist es denn, was im Grunde der Mensch und mit ihm alles andere tut? Er „läuft“ oder „fließt“, um mit Heraklit zu sprechen. Und wir, liebe Gäste, möchten Ihnen mit diesem Buch und unserer ganz speziellen Gastfreundschaft eine Anthologie zum Thema Reisen an die Hand geben. Wandernde Worte, in gewisser Weise, die in Ihnen hoffentlich den Wunsch erzeugen, sich auf den Weg zu machen. Es ist eine Einladung zum Reisen, zu einer Pilgerfahrt durch das Leben selbst, dem Kosmos entgegen und dem natürlichen Lauf der Dinge. Auf dieser Reise sind Sie immer unsere herzlich willkommenen Gäste. Denn es lässt sich ja nicht leugnen: In diesem Leben sind wir alle Pilger.